Eröffnungsrede zur Ausstellung:

PETRA AMERELL  /  "KALEIDOSCOPE"

KVD-Galerie Dachau, 17. Oktober - 10. November 2019

 

von Erika Wäcker-Babnik (Kunsthistorikerin / Kuratorin / Publizistin)

 

 

Farbe weckt Emotionen. 

Auch wenn vielleicht viele von Ihnen in ihrem Stil, in ihrer Wohnungseinrichtung oder in ihrer Mode eine dezente Zurückhaltung pflegen, wenn Sie in Ihren ästhetischen Vorlieben eher zu eleganten Grautönen, intellektuellem Schwarz, erdigen Naturfarben oder luftigem Weiß neigen und auch in ihrem Kunstgeschmack einen farblichen und formalen Minimalismus schätzen, so werden Sie zugeben, dass Buntes doch so viel Energie und Freude in den grau gehaltenen Alltag bringen kann, so dass Sie immer mal wieder dankbar vom Purismus abweichen und begeistert in Farbe schwelgen.

 

Farbe weckt Emotionen. 

Eine bunte Natur um uns herum mit strahlendblauem Himmel, grünen Wiesen, und in allen Farben blühenden Pflanzen stimmt uns heiter, im Gegensatz zum Grau in Grau eines verregneten Wintertages. Wir lieben den Herbst wegen seiner Farben, genießen flammende Sonnenuntergänge und bestaunen das türkisfarbene Wasser des Sees.  

 

Auch die Malerei von Petra Amerell weckt Emotionen. Es ist eine Farbmalerei, wie sie expressiver und in ihrer Wirkung unmittelbarer kaum denkbar ist, ein Fest für die Sinne, ein Farbrausch in bester Weise. Klangvolle Kompositionen verschiedenster Couleur allein durch Farben und Formen hervorgerufen und von jeglichem narrativem Inhalt befreit; reine Abstraktion, die ausschließlich sinnlich erfahren werden will. 

 

Es ist die Beschäftigung mit der Farbe, die für Petra Amerell im Vordergrund ihres Schaffens steht. Sie, die Farbe, schreibt sie "ist die eigentliche Droge in dem Ganzen, sie ist das, was in mir Kaskaden von Emotionen auslösen kann – angefangen von starkem Unbehagen bis hin zu irisierendem Glück". Tatsächlich wirken ihre Bilder euphorisierend. Doch es ist keine wilde Buntheit, die die Bilder ausmacht. Die Farbe, und von ihrem Auftrag ausgehend ihre Form, werden zu den bildbestimmenden Elementen, zu den eigentlichen Handlungsträgern. Es ist das Zusammenspiel von Farbfeldern, die untereinander in Dialog treten und in Rede und Widerrede nebeneinander und übereinander gesetzt sind, ein Miteinander und Gegeneinander, ein Groß und Klein, ein Vor und Dahinter, ein Ringen, ein Wirbeln und Kreisen und Tupfen, was dem jeweiligen Bild eine spezifische Gestimmtheit, oder anders gesagt, seinen Charakter verleiht.

 

Nicht erst die Wegbereiter der Moderne wie Paul Gauguin oder Vincent van Gogh entdeckten mit ihren farbglühenden Bildern die elementare Kraft von Farbe – Künstler aller Jahrhunderte haben malend das faszinierende Geheimnis von Farbe erforscht und immer wieder neu eingesetzt, von den mittelalterlichen Tafelmalern bis hin zu den meditativen Farbfeldmalern der Nachkriegszeit. Der unmittelbar sinnlichen Wirkung der Farben kann sich niemand entziehen. Und doch war für Jahrhunderte die Farbe nur die Ergänzung der Zeichnung. Farbe war in der Herstellung nicht so einfach wie heute und bestimmte Farbpigmente wie Rot und Blau waren sehr teuer. Fast alle Maler etwa der Renaissance bauten das Bild in erster Linie durch die Zeichnung auf und fügten dann die Lokalfarbe hinzu. Anfang des 19. Jahrhunderts, beginnend bei Delacroix über die Impressionisten und Cézanne bis hin zu van Gogh und Gauguin wurde der Farbe immer mehr Beachtung geschenkt und sie begann sich zunehmend zu befreien. 

Im Expressionismus, vor allem aber in seiner französischen Spielart, dem Fauvismus, wurde zum ersten Mal in der Geschichte der abendländischen Malerei die Farbe, vor allem die ungebrochene Farbe, in den Mittelpunkt der Gestaltung gestellt. Aber eben nicht wilde Buntheit, wie die kritisch gemeinte Etikettierung "fauve" – wild – suggerierte, sondern eine abgestimmte, am Sonnenspektrum orientierte, ausdrucksstarke Farbgebung. Fauvisten wie Matisse, Derain, Vlaminck haben mittels der Farben und Formen emotionale, intuitive poetische Bildräume geschaffen, die zwar noch am Gegenstand festhielten, die Farbe und Formen jedoch von ihrem illusionistischen, und anders als die deutschen Expressionisten auch von ihrem mystischen oder symbolischen Charakter befreiten. Die Farbe emanzipierte sich, bis sie komplett vom Gegenstand gelöst war und ihr ein absolutes Eigenleben zugestanden wurde. Bis in die heutige Zeit kann die abstrakte Farbmalerei ganz unterschiedliche ästhetische Erscheinungsformen und formale und emotionale Qualitäten annehmen.

 

Vor diesem Hintergrund und in dieser Tradition steht die Malerei von Petra Amerell. 

Nach ihrem Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München hat Petra Amerell erst mal gegenständlich gemalt und gezeichnet. Im Lauf der Jahre ist sie zunehmend in die Abstraktion gegangen, bis sie sich völlig vom Gegenstand befreite und in der Lage war, ohne Bezug zur gegenständlichen Welt ganz aus sich heraus zu schaffen. Der Schlüssel dazu war ihre Liebe zur Farbe, der ihre ganze Lust und Leidenschaft ihres Schaffens fortan galt. 

Sie hat sich intensiv mit der Kunstgeschichte, u.a. auch den Fauvisten befasst, sie weiß um die Wirkkraft, die Bedeutung und die Symbolik der Farben, und sie kennt sich bestens mit Farbtheorien aus. Sie stellt ihre eigenen Farben aus Pigmenten her, was die besondere Leuchtkraft der Bilder erklärt, und sie bedient sich unterschiedlicher Möglichkeiten des Farbauftrags. 

Doch die Kunstgeschichte war für Petra Amerell nicht nur Inspirationsquelle, sondern die Bestätigung des eigenen künstlerischen Anliegens, welches sie selbst als Suche nach "Vitalität und Leidenschaft, Sensibilität und Rhythmus" beschreibt. 

 

"Kaleidoscope" lautet der Titel der Ausstellung: In Anlehnung an die Technik des klassischen Kaleidoskops, wo durch Drehen und die mehrfache Spiegelung der bunten Glassteinchen wechselnde geometrische Muster entstehen, finden wir in den Werken von Petra Amerell eine wechselnde, lebendig-bunte Folge von Farben, Formen und Eindrücken wieder. 

Doch anders als beim Kaleidoskop ist das Ergebnis kein Zufall, sondern das Resultat eines langen kreativen Prozesses. Eines Prozesses, der für den Betrachter bis zu einem gewissen Grad sichtbar bleibt. Schicht um Schicht, Farbe um Farbe, Form um Form arbeitet Petra Amerell ihre Bilder heraus, bis alle Bestandteile miteinander kommunizieren. 

Dieses Malen ist ein stark körperlicher Akt, denn die großen Formate – und Petra Amerell ist eindeutig eine Malerin des großen Formats ­– wollen ganz anders bezwungen werden, als ein kleines Zeichenblatt. Sicher hat sich die Tatsache, dass sie 20 Jahre lang getanzt hat, auf ihre Kunst ausgewirkt.

Jedes Bild ist anders. So geben nicht nur immer wieder andere Farben den Ton an, Rot, Grün, Blau oder Gelb, sondern vor allem die Formen sind immer wieder unterschiedlich. Neben stark verdichteten, in vielen Schichten angelegten Farbfeldern stehen geöffnete, wie losgelassen und befreit wirkende Flächen. Der Eindruck der Differenziertheit kommt auch durch die unterschiedlichen Techniken zustande. Farbaufträge mit dem breiten Pinsel, Spachteltechnik, Zeichnung mit der Pinselstil, ja sogar Abdrücke von den saugfähigen Papieren, mit denen Petra Amerell überschüssige Farbe abtupft, definieren die Formen und Strukturen. 

Manche Kompositionen machen eine Ringen sichtbar, etwa das bunte Bild, das mit seinen vielen Schichtungen, seinen eher disparaten Farben und Formen offen und dynamisch wirkt, während etwa das Blaue mit seinen lasierend und transparent aufgetragenen Blautönen, die wie übereinandergelegte Transparentpapiere wirken, in seiner Geschlossenheit mehr an eine Unterwasserlandschaft im Ozean denken lässt.

Wann ist ein Bild fertig? Nach Wochen des immer wieder Überarbeitens und Veränderns ist das eine Entscheidung, die Petra Amerell alleine trifft. Dann wird sie es uns, den Betrachtern, zur subjektiven Vollendung überlassen. Wir spüren dem Klang der Farben und Formen nach. Das kontemplative Betrachten führt uns hin zu einzelnen Bildpartien, die interessante und immer wieder neue Entdeckungen zulassen. Manche der Bilder rufen vielleicht auch Assoziationen hervor, die wir mit der gegenständlichen Welt verknüpfen. 

Oder wir geben uns einfach ganz einem schwelgerischen Farbrausch hin, wie wir ihn in dieser Weise und Intensität nur selten geboten bekommen und einfach genießen sollten.