Ausschnitt der Eröffnungsrede zur Ausstellung:

 

DAS LEICHTE WIEGT SCHWER 

Petra Amerell / Malerei  –  Werner Mally / Skulptur

in der Neuen Galerie Landshut (10. Juni – 3. Juli 2022)

 

von Franz Schneider (Leiter und Kurator der Neuen Galerie Landshut)

 

… 

Eine ganz andere Empfindung von Leichtigkeit vermitteln uns die Malerei von Petra Amerell. 

Ihr Medium ist die Farbe, die sich uns in purer Selbstentäußerung entgegenbringt. Die Bilder wirken wie kraftvolle Entladungen, wo sich im Zusammentreffen der Farben flüchtige Formzustände bilden; wo sich Reaktionsprozesse, ja geradezu visuelle Kettenreaktionen ereignen, die je wieder zu neuen formalen Hervorbringungen, Kollisionen und Vermengungen geführt haben. 

 

Bei diesen Bildern rührt sich in uns kein Bedürfnis nach Figurativem oder Erzählerischem. Die einnehmende Wucht der Farbe und die schiere Fülle an Modifikationen des Auftrags, der Werkzeugspuren und der gestischen Variationen nimmt uns gefangen und lenkt unseren Blick auf die Immanenz des Bildes. Die Lasuren und Verdichtungen, die Übermalungen und das Durchscheinen von vorhergehenden Farbaufträgen, die haptische Verschiedenheit einzelner Bildstellen machen Lust, in einem rückläufigen Wahrnehmungsprozess dem jeweiligen Bildschöpfungsgeschehen nachzuspüren. 

 

Einem Entstehungs-Vorgang, der immer wieder überraschende, oft nicht einmal selbstähnliche Abläufe und Entscheidungen erkennen lässt und dabei ein immenses bildnerisches Vokabular offenbart, dessen Einsatz häufig die Erwartungen des Betrachters unterläuft - und überwältigt. 

 

Über diesen Prozess sagt Petra Amerell selbst:

„Im Atelier stehen, eine Leinwand vor mir, aus Pigmenten und Binder Farbe anrühren, Farben mischen und mit dem Pinsel oder der Spachtel auftragen, eintauchen in die Bildfläche und farbige Formen, Flächen, Linien und Flecken setzen - das ist eine Arbeit, die ich liebe und die mich herausfordert. Oft dauert dieser Prozess Wochen, das Bild verändert wieder und wieder seine Gestalt, die Farbe wird gestrichen, geschichtet, gekratzt, lasiert. Und dazwischen immer wieder innehalten: Schauen. Die Komposition verdichtet sich, wird gesprengt, wird erneut überarbeitet. Das geht so lange, bis alles mit allem korrespondiert und ein Gleichgewicht erreicht, das spannungsvoll bleibt.“

 

Zufall und Gewissheit also bestimmen bei Petra Amerell, wann ein Bild fertig ist: nicht wenn es landläufig schön ist, sondern wenn eine ästhetische Richtigkeit erreicht ist, die sich aus der eigenen malerischen Realität des Bildes gleichsam selbst fordert. Dann offenbart sich diese Realität des Bildes dem Betrachter, eine Realität, die vollständig in der Malerei liegt, und die gerade deshalb nicht nur im Bild vorhanden ist, sondern auch immer über dieses hinausweist. 

 

Und so, wie die Skulpturen Werner Mallys ihre ganz eigene poetische Sprache sprechen, so ist es bei Petra Amerell die besondere Magie der Farben, wodurch uns ihre Bilder so bezaubern. Diese Farben leben nicht erst auf in ihrer Verwendung auf der Leinwand – bereits in ihrem molekülhaften Stadium als Farbpigment werden sie als Kostbarkeit betrachtet, als Farbpulver feinfühlig behandelt und als gebundene Farbe wie ebenbürtige Akteure angesehen.

 

Ihrer matten Opazität, ihrem kreidigen Glanz, ihrer durchscheinenden Wässrigkeit oder ihrer lichten Transparenz eignet immer etwas Klimatisches oder besser Atmosphärisches an, ein flüchtiger Aggregatszustand, eine vorübergehende Wetterlage, ein ephemerer Witterungsmoment, ein rasch verwehender Augenblick.

 

Dass sich dieser für uns in all seiner Leichtigkeit übervoll auf der Leinwand niederschlägt, belegt sehr eindrücklich den Titel der Ausstellung: „DAS LEICHTE WIEGT SCHWER“.