BILDER MALEN

von Petra Amerell

Warum bist du Malerin geworden?", werde ich hin und wieder gefragt. Es ist eine dieser Fragen, die man eigentlich nicht wirklich beantworten kann, wie ich finde - und ich bin dann geneigt, das gängige Statement abzugeben: "Ich habe einfach nie mit dem Malen aufgehört." Alle Kinder zeichnen und malen, nach der Pubertät aber legen die meisten Stift und Pinsel aus der Hand. Denke ich jedoch darüber nach, welcher Impuls für mich ausschlaggebend war, Künstlerin zu werden, so ist das in erster Linie die pure Faszination und Lust am Schauen. Das sich Verlieren im Betrachten von Formen und Farben der sichtbaren Welt: eine Landschaft, ein Gesicht, Körper in Ruhe, Körper in Bewegung, Gebäude, Gegenstände, Jahreszeiten. Das sinnliche Vergnügen, immer und überall farbige Kompositionen vorzufinden, malerische Stimmungen, spannungsvolle Formzusammenhänge.

Deshalb begann ich zunächst, intensiv zu zeichnen. Das Skizzenbuch wurde mein ständiger Begleiter; ich war süchtig, mit dem Stift der Welt um mich herum nahezukommen, ihr "beizukommen", diese chaotische Wunderwelt da draußen einzufangen und umzusetzen in eigene Bilder. Natürlich ist das eine Art Kommunikation. Das Aufnehmen, das Erleben und dann das Reagieren. Dabei stellte ich fest, dass meine Papierarbeiten ihre ganz eigene ästhetische Wirkung entfalten und nie die bloße Wiedergabe des Gesehenen sind. Dass eine gelungene Zeichnung nichts mit dem ursprünglichen Motiv zu tun haben muss. Es ist ja immer subjektiv, welchen Ausschnitt man wählt und wie man welche Materialien einsetzt, die individuelle Handschrift bestimmt letztlich den Charakter der Arbeit.

Bald kam die Farbe dazu. Sie ist die eigentliche Droge in dem Ganzen, sie ist das, was in mir Kaskaden von Emotionen auslösen kann - angefangen von starkem Unbehagen bis hin zum irisierenden Glück. Nach und nach verstand ich, dass es dabei nicht unbedingt um die Wirkung einzelner Farben geht, sondern vielmehr um Polychromie, um das Zusammenspiel mehrerer Farbtöne, das ein aufregendes Ganzes ergibt. Und ich entdeckte einmal mehr, dass dieses intensive Erlebnis unabhängig von der Bedeutung des dargestellten Gegenstands ist, dass also Farben und Formen und ihr Verhältnis untereinander eine eigene Sprache sprechen. Das wollte ich unbedingt erkunden. 

Mein Interesse galt (und gilt) nicht nur der sichtbaren Welt um mich herum, sondern natürlich auch der Kunst, der ich in Museen und Ausstellungen begegnete. Ich stieß auf Werke, deren bildnerische Kraft mich schwer beeindruckte und die in mir die Sehnsucht auslösten, nichts anderes in diesem Leben zu machen, als Bilder zu malen. Es war wie ein Gefühl von schlagartigem Verliebtsein. 
Tizian, Vermeer, Rembrandt, Velázquez, Tiepolo, Monet, Cézanne, van Gogh, Gauguin, Matisse, Bonnard, Modersohn-Becker, Jawlensky, Münter, Beckmann, de Kooning, Rothko, Johns, de Staël, Diebenkorn, Schumacher, Hockney, Kirkeby, Hodgkin, Twombly. In ihrer großartigen Malerei fand ich all das, was ich suchte: Vitalität und Leidenschaft, Sensibilität und Rhythmus, ein nahezu erotisches Verhältnis zur Farbe und deren Rolle im Werk.
 

Die Farbe so einzusetzen, dass sie beginnt zu vibrieren und zu atmen, dass sie einen Raum öffnet oder durch Lasuren hindurch in die Tiefe blicken lässt, dass sie mit ihren Nachbarfarben flirtet oder eigenwillig sich absetzt von ihrer Umgebung; Farbe, die sich ausbreitet und Farbe, die nur als winziger Akzent das Bild belebt - all das war und ist immer wieder ein wesentliches Thema für mich. Kann man sich das erarbeiten, kann man das lernen? Ich weiß es nicht. Bis zu einem gewissen Grad hängt der Umgang mit Farbe sicher von der Beherrschung der Maltechniken ab: Wie trage ich welche Farbe auf, wie erziele ich eine bestimmte Wirkung. Und sicher spielt die Empfindung eine große Rolle, also die Wahrnehmung, ob und wann Farben klingen oder nur schweigend nebeneinander hocken. Ich versuche mich bei jedem Bild aufs Neue in diesem Balanceakt.

Nach und nach löste sich meine Malerei vom Gegenständlichen und Figurativen. Während des Malprozesses interessierte mich das Sujet selbst immer weniger, es diente eigentlich nur noch als Auslöser, weil es visuell etwas an sich hatte, das mich reizte. Im Bild aber kämpfte ich dann um eine freie Gestaltung - die Farben und Formen, die ich wählte, hatten bald nur noch wenig mit dem zu tun, was vor meinen Augen lag. Die Formvorgabe eines Körpers oder Gegenstandes begann mich einzuengen und zu stören. Dazu kam, dass ich damals ununterbrochen afrikanischen und afroamerikanischen Jazz hörte, ebenso karibische und lateinamerikanische Musik. Diese zündenden Rhythmen und Improvisationen grundierten meine Arbeit im Atelier und verstärkten sicherlich auch mein Bedürfnis nach einer Malerei, die aus der Bewegung heraus entsteht und sich nach keiner Vorlage mehr richtet. Von nun an wollte ich nichts mehr darstellen und mich beim Arbeiten weder auf Inhaltliches noch auf einen Gegenstand beziehen, vielmehr sollte das Bild allein aus sich heraus wirken, ausschließlich durch seine Komposition, Farbigkeit und Struktur. Für mich bedeutete das ein Abenteuer, denn die neue Freiheit bot unendlich viele Möglichkeiten und ich musste einen Weg finden, um eine ganz eigene ungegenständliche Bildwelt zu entwickeln.

Auch dem Betrachter bietet abstrakte, genauer gesagt gegenstandslose Malerei diesen Freiraum. Er kann sich ohne erzählerische Vorgabe mit dem Bild auseinandersetzen, es entzieht sich der Sprache und eindeutigen Interpretation und ermöglicht dadurch leichter den Blick für das, was die Malerei im Kern ausmacht.

Im Atelier stehen, eine Leinwand vor mir, aus Pigmenten und Binder Farbe anrühren, Farben mischen und mit dem Pinsel oder der Spachtel auftragen, eintauchen in die Bildfläche und farbige Formen, Flächen, Linien und Flecken setzen - das ist eine Arbeit, die ich liebe und die mich herausfordert. Malen verlangt, vor allem bei großen Formaten, Körpereinsatz und immer natürlich auch Kopfarbeit. Oft dauert dieser Prozess Wochen, das Bild verändert wieder und wieder seine Gestalt, die Farbe wird gestrichen, geschichtet, gekratzt, lasiert. Und dazwischen immer wieder innehalten: Schauen. Die Komposition verdichtet sich, wird gesprengt, wird erneut überarbeitet. Das geht so lange, bis alles mit allem korrespondiert und ein Gleichgewicht erreicht, das spannungsvoll bleibt.

Als Malerin agiere ich allein, vor der Leinwand treffe ich permanent Entscheidungen, niemand redet mir dazwischen. Ich kreiere mein eigenes bildnerisches Universum, auch wenn es Inspirationsquellen gibt und ich als Künstlerin im Austausch mit anderen Künstlern stehe. Später, wenn die Bilder ihre Betrachter finden, wenn sie angeschaut werden, beginnt ein neuer Dialog.